Knistern im Bootsrumpf und Knallkrebse

Ankerbucht mit Wolkenformation

Wir liegen als einzige Ankerlieger in der nach allen Himmelsrichtungen geschützten großen Ankerbucht Ormos Igoumenitsas nordwestlich von Igoumenitsa. Das Wasser ist nicht sehr klar und so können wir bei 3,5 Metern Ankertiefe den Boden nicht erkennen. Nach dem Durchzug von starken Gewittern ist der Himmel immer noch partiell bewölkt.

Wir hören Tag und Nacht ein Knistern am oder im Bootsrumpf, das in dieser Bucht besonders laut zu sein scheint. Das Geräusch ist ein unregelmäßiges lautes Prickeln, das von überall und nirgends zu kommen scheint, ein Geräusch, das sich so anhört wie sich die Knallbrause am Gaumen angefühlt hat, die ich mir als Kind genüsslich aus kleinen Tütchen in den Mund gestreut habe. Oder wie eine Popcornmaschine. Es ist ein Geräusch, das überall im Rumpf zu hören ist; in der Bilge ist es am lautesten. Wenn es leise ist, zum Beispiel nachts, hört man dieses Knistern noch lauter, aber es ist auch tagsüber konstant zu hören. Ich kenne das Geräusch seit Jahren, es ist an fast jedem Ankerplatz zu hören, manchmal lauter, manchmal leiser, ich habe aber das Gefühl, dass das Geräusch an diesem Ankerplatz deutlich lauter ist als sonst.

Das Knistern in unserem Bordrumpf in der Bucht von Igoumenitsa
Aufgenommen in der Backbordbilge am 07.08.2020 um 23:38 bei 3,4m Wassertiefe unterhalb des Rumpfs und 28,9° Wassertemperatur

Ich nehme mir die Zeit, zu recherchieren um herauszufinden, was das für ein Geräusch sein kann. Es gibt einige Seglerforen, die sich des Themas annehmen. Dieses Knistern hat schon etliche Crews nachts wach gehalten, die dann mit einer Taschenlampe ausgerüstet durch die Bilgen gerobbt sind, auf der Suche nach einem Leck oder Schwelbrand oder irgendwelchen unerwünschten Tieren. Das Geräusch wird bei allen Schiffstypen gehört, bei Rümpfen aus den verschiedensten Materialien, in unterschiedlichsten Seegebieten weltweit und auch im Süßwasser. Die Erklärungsansätze reichen vom Knabbergeräusch von Enten, Fischen oder Kleinlebewesen, die am Rumpf die Algen abfressen, über das Geräusch von aneinanderklirrenden Kieseln oder Muschelscherben, das sich über Kilometer unter Wasser verbreitet und am Schallkörper des Rumpfes aufgefangen wird, über Spannungsgeräusche des Wassers am Rumpf bis hin zu dem Geräusch, das Knallkrebse mit ihren Scheren erzeugen können.

Was sind Knallkrebse? Laut Wikipedia können diese kleinen daumengroßen Krebse, die auch Pistolenkrebse genannt werden und von denen es sehr viele Arten und Unterarten gibt, auf erstaunliche Art und Weise einen Knall herbeiführen:

„Die Krebse stoßen beim Schließen der Knallschere blitzschnell einen Wasserstrahl aus, der eine Kavitationsblase bildet, welche mit einem sehr lauten Knall implodiert. Nach Modellrechnungen bildet sich an der Grenzfläche des Wasserstrahls zum umgebenden Wasser eine torusförmige Kavitationsblase, bei deren Kollaps ein Druckimpuls von 10 bar (im direkten Umfeld 80 bar) entsteht. Dabei kommt es zu einem Sonolumineszenz-Phänomen (von Detlef Lohse und Koautoren Shrimpolumineszenz genannt), dem Erzeugen eines Lichtblitzes durch Implosion der Kavitationsblasen, wobei Temperaturen von über 5000 Kelvin gemessen wurden. Diese Waffe setzen sie als Warnung, im Kampf mit Artgenossen, beim Beutefang oder zur innerartlichen Kommunikation ein. Die Krebse wurden während des Zweiten Weltkriegs bekannt, als sie die Sonarortungen des Militärs durch ihre Knallgeräusche störten. Kleine Krabben, Würmer und kleine Fische können durch den Druck betäubt werden.“

Wikipedia. [Online] [Zitat vom: 06. 08 2020.] https://de.wikipedia.org/wiki/Knallkrebse.

Weitergehende Informationen zu aktuell laufenden Forschungen finde ich auf der amerikanischen Webseite der Woods Hole Ozeanographic Institution. Die WHOI ist laut Wikipedia ein ozeanographisches Forschungsinstitut in Woods Hole, Massachusetts, wurde 1930 gegründet und vergibt Abschlüsse gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology.

Ashlee Lillis, eine Forscherin am WHOI, hat dort 2017 Untersuchungen zum Knallkrebs gemacht, der auf Englisch „snapping shrimp“ heißt. In dem Online Magazin des Instituts findet man einen Artikel von 2017, in dem Lillis auf gut verständliche Art und Weise über diese Krebse berichtet. Sie geht darauf ein, dass das Geräusch schon viele Segler in die Irre geleitet hat und dass die Navy ihre Sonarspezialisten auf das Geräusch trainiert. Sie berichtet von der überraschenden Art und Weise wie diese Krebse den Ton erzeugen. Das Wichtigste für Lillis ist jedoch die Geräuschkulisse, die diese Krebse in vielen Meeresgebieten erzeugen und dass diese eine bedeutende akustische Orientierungsmarke für andere Meereslebewesen darstellen könnte, zum Beispiel in Korallenriffen. Außerdem forscht Lillis an der Fragestellung warum die Krebse das Geräusch erzeugen und welchen Einfluss äußere Faktoren wie Licht oder Wärme auf diese Knallerzeugung haben.

Und ganz aktuell gibt es weitere Erkenntnisse: auf dem Ocean Science Meeting, das Mitte Februar 2020 in San Diego stattgefunden hat, stellte T. Aran Mooney, ein Meeresbiologe des WHOI und Kollege von Lillis, ein Abstract vor, in dem er über die Auswirkungen der Meereserwärmung auf das Verhalten der Pistolenkrebse sprach und die These nahelegt, dass die Erwärmung der Ozeane zu einer Verstärkung und Vervielfachung der erzeugten Schnappgeräusche führt. Dies wiederum bewirkt eine bedeutende Veränderung der Unterwasser-Geräuschkulisse, die wiederum signifikante Auswirkungen auf das Verhalten anderer Meereslebewesen haben könnte.

Die akustische Umgebung oder Klanglandschaft ist für marine Ökosysteme von grundlegender Bedeutung. Sie liefert den Bewohnern umfassende sensorische Informationen, ermöglicht viele ökologische Prozesse und spiegelt die biologische Vielfalt und Gesundheit von Lebensräumen wider. Zunehmender anthropogener Lärm kann Taxa (in der biologischen Systematik eine Gruppe von Individuen, die gegen andere Gruppen abgegrenzt ist) und Lebensräume beeinflussen, es ist jedoch wenig darüber bekannt, wie sich Umgebungsgeräusche durch Umweltveränderungen verändern. Pistolenkrebse gehören zu den lautesten Meeresorganismen, die in gemäßigten und tropischen Küstenmeeren ein allgegenwärtiges Breitbandknistern erzeugen. Anhand von Feldbeobachtungen und Laborexperimenten zeigen wir, dass die Wassertemperatur die Erzeugung von Pistolenkrebsgeräuschen erheblich beeinflussen kann. Die Daten deuten mit steigender Temperatur der Ozeane auf eine größere akustische Aktivität einer dominanten Komponente in der Unterwasserakustik der Meere hin. Dies könnte ökologische Auswirkungen auf eine Vielzahl von Organismen haben, die Schall im Meer nutzen.

T Aran Mooney. AGU Advancing Earth and Space Science. [Online] [Zitat vom: 06. 08 2020.] https://agu.confex.com/agu/osm20/meetingapp.cgi/Paper/651501. (Eigene Übersetzung des Plain Language Summary)

Vergleiche dazu auch den Artikel des Amerikanischen Geophysikalischen Instituts (AGU – American Geophysical Union), der im Artikel einen Link auf eine Präsentation mit Geräuschdatei enthält, die diese Krebse erzeugen. Die Ähnlichkeit dieser Geräuschdatei mit unserer Aufnahme bestätigt aus meiner Sicht eindeutig, dass es sich bei den von uns gehörten und aufgenommenen Knistergeräuschen im Rumpf um das Schnappgeräusch von Pistolenkrebsen handelt.

Die Bilder der youtube Präsentation zeigen Ashlee Lillis bei der Forschung mit Knallkrebsen. ©AGU

Diese Krebse sind in vielfacher Hinsicht überaus faszinierend. Manche Arten bilden als einzige Meereslebewesen eusoziale Kolonien mit einer oder mehreren eierlegenden Königinnen:

Knallkrebse sind die einzigen bekannten Meerestiere, die eusozial sind, bei denen eine Arbeitsteilung und ein kollektives Aufziehen des Nachwuchses in Kolonien beobachtbar ist. Für gewöhnlich tritt ein solches Verhalten eher bei Insekten wie Bienen, aber auch bei einigen Säugetieren wie Nacktmullen auf.

Bittel, Jason. National Geographic. [Online] [Zitat vom: 06. 08 2020.] https://www.nationalgeographic.de/tiere/2018/03/pistolenkrebse-die-wildwest-bienen-des-meeres.

Und auch Physiker können von den Krebsen noch sehr viel lernen, denn diese erzeugen bei der Implosion der Luftblase durch die extrem hohen Temperaturen Plasma. Für den Bruchteil einer Sekunde ist die Temperatur so heiß wie die Oberfläche der Sonne. Dabei entsteht Plasma, ein ionisiertes Teilchengemisch auf atomar-molekularer Ebene, das in der Forschung und Industrie vielfältig eingesetzt wird, aber nicht sehr leicht erzeugt werden kann. Bei einem Blitz entsteht ebenfalls Plasma.

Forscher der Texas A&M University in den USA bauten diese speziellen Krebsscheren nun erstmals mit einem 3D-Drucker nach. Wie sie in der Fachzeitschrift „Science Advances“ berichten, ließen sich mit den künstlichen Krebsscheren ebenfalls Dampfblasen erzeugen. Bei deren Implosion entstand nicht nur ein lumineszierendes Leuchten, sondern auch ein heißes Plasma aus elektrisch geladenen Teilchen.

Als Vorbild für ihre Experimente wählten Xin Tang und David Staack einen Knallkrebs der Art Alpheus formosus. Mit einem Röntgentomografen scannten die beiden Wissenschaftler zunächst die exakte Struktur der Scheren. Diese Daten bildeten dann die Grundlage für ihren 3D-Druck. Das dreidimensionale Kunststoffmodell der Krebsscheren besteht aus einem Scherenfinger, der beim schnellen Zuklappen in eine genau passende Aushöhlung trifft. Das Wasser innerhalb der Schere wird daraufhin mit hohem Druck durch eine winzige Öffnung hinausgepresst – genau wie beim Original. Wegen der hohen Strömungsgeschwindigkeit verringert sich der statische Druck nach dem Gesetz von Bernoulli. Die Folge: Wasser verdampft und sammelt sich in einer Dampfblase. Da der Wasserdampf sehr schnell wieder kondensiert, fällt die Dampfblase schlagartig in sich zusammen – und es knallt. Durch diese Implosion heizt sich das Wasser in unmittelbarer Umgebung kurzfristig auf Temperaturen von mehreren Tausend Grad Celsius auf, wodurch Atome ionisiert werden. Es entstehen ein Plasma und ein extrem kurzer Lichtblitz. Diese sogenannte Sonolumineszenz kann bisher allerdings in ihren Details noch nicht vollständig erklärt werden.

Löfken, Jan Oliver. welt der physik. [Online] [Zitat vom: 06. 08 2020.] https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/news/2019/krebsscheren-als-plasmagenerator/.

Das Wissen, dass an unserem Ankerplatz tausende Knallkrebse Tag und Nacht Mini-Explosionen auf dem Meeresboden erzeugen, die von unseren Rümpfen verstärkt, als lautes Knistern innerhalb des Boots zu hören sind, ist wirklich beeindruckend. Ich werde mit weiteren Aufnahmen versuchen herauszufinden, ob sich das Geräusch verändert, wenn wir den Standort wechseln, in kühlerem Wasser oder in in einer größeren Tiefe ankern.